Martin Luther (1483-1546) ist eine Gestalt der deutschen und abendländischen Geschichte, an der sich in und außerhalb der Christenheit immer noch die Geister scheiden. Wohl sind bestimmte Ereignisse seines Lebens tief ins allgemeine Bewusstsein eingegangen, bis hin zu legendären Zügen: sein Eintritt ins Kloster (1505), der Anschlag der 95 Thesen gegen den Ablaßhandel als Anfang der Reformationsbewegung (1517), das Bekenntnis vor Kaiser und Reich in Worms (1521), die Ehe des einstigen Mönchs mit der aus dem Kloster entflohenen Nonne Katharina von Bora (1525).
Auch hat er durch seine Bibelübersetzung und die Erneuerung des geistlichen Liedes eine nachhaltige Wirkung auf die deutsche Literatur- und Geistesgeschichte. Die eigentliche Sache Luthers aber ist dem allgemeinen Bewusstsein heute eigentümlich fremd geworden: die Erneuerung der christlichen Frömmigkeit aus der Kraft unbedingter Bindung an das göttliche Wort der heiligen Schrift, die Begründung der christlichen Freiheit gerade in solcher Bindung und die Entdeckung echter Weltlichkeit in Haus, Staat und Gesellschaft, ja, die Erkenntnis des Evangeliums als politischer Weisheit.